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Aug 12, 2023

Wie gehen Bahninfrastrukturbetreiber mit der extremen Hitze in Europa um?

Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Extreme Wetterphänomene wie Hitzewellen und Überschwemmungen treten immer häufiger auf. Dies zwingt Infrastrukturbetreiber, sich an diese neue Realität anzupassen. Welche Taktiken werden eingesetzt, um die Auswirkungen der extremen Hitze auf die Eisenbahnen in Europa abzumildern? SNCF, Adif, Network Rail, SBB und DB teilen ihre Methoden mit RailTech.

Bahnnetze sind naturgemäß allen Witterungseinflüssen ausgesetzt. Aufgrund seiner Konstruktionsregeln ist die Strecke von Natur aus recht widerstandsfähig gegenüber hohen Temperaturen: Hochgeschwindigkeitszüge fahren gut in Ländern mit wärmerem Klima als Europa, wie etwa Marokko. Allerdings können Schienen bei direkter Sonneneinstrahlung bis zu 20 °C heißer sein als die Lufttemperatur. Dadurch kann die Temperatur der Schienen 60 °C erreichen, wenn die Lufttemperatur 40 °C erreicht. Da die Schienen aus Stahl bestehen, können sie sich bei zunehmender Erwärmung ausdehnen und sich verbiegen – man spricht hier von „Knicken“. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich der Fahrdraht, der für eine einwandfreie Funktion vollkommen gerade sein muss, lockert. Darüber hinaus kann in bestimmten Fällen auch Vegetation auf oder in der Nähe von Gleisen Feuer fangen, was zu Verkehrsbehinderungen und Schäden an der Infrastruktur führen kann.

„In diesem Sommer gab es keinerlei Probleme, bei denen Hitze oder Dürre den Bahnbetrieb in Spanien beeinträchtigt hätten“, so ein Adif-Sprecher. Dennoch hat der spanische Eisenbahninfrastrukturbetreiber ein Berechnungstool entwickelt, um „die Risikogebiete anhand der prognostizierten Temperatur und der Neutralisationstemperatur (wenn keine Schienenspannungen vorhanden sind) zu bewerten“. Mit diesem Tool wird die kritische Umgebungstemperatur berechnet, ab der ein hohes Risiko einer Verformung des Gleises durch seitliches Beulen besteht. Auf diese Weise ist es möglich, temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Abschnitten festzulegen, in denen der Wetterbericht sehr hohe Temperaturen vorhersagt. Das Tool ist bereits einsatzbereit, aber Adif sagt, dass man sich weiterhin auf seine Verbesserung konzentrieren wird, um die Genauigkeit und Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen.

In Frankreich nutzt SNCF Réseau seit 2021 ein Vorhersagetool namens Metigate. Es liefert 13-tägige Vorhersagen der minimalen und maximalen Schienentemperaturen sowie 3-tägige Vorhersagen der Lufttemperatur. Diese Datenpunkte sind an rund 180 Standorten im gesamten nationalen Netzwerk verfügbar. Mit diesem Tool basieren Schienentemperaturvorhersagen nicht mehr ausschließlich auf Lufttemperaturvorhersagen, sondern integrieren meteorologische Parameter wie Wolkendecke, Sonnenschein, Luftfeuchtigkeit usw., sodass die Vorhersagen genauer sind. SNCF Réseau nutzt diese Prognosen, um die Überwachung während der heißen Jahreszeit und etwaiger Hitzewellen zu organisieren und anzupassen.

Der britische Eisenbahnmanager Network Rail bezieht Wetterinformationen vom privaten Wetterdienstleister MetDesk Ltd über einen standardmäßigen kommerziellen Prozess. Dieser Ansatz bietet zwar wirtschaftliche Vorteile, weist jedoch Nachteile auf, da die Dienstleistungen auf der Grundlage von Bedingungen während der Beschaffung festgelegt werden und mögliche wissenschaftliche oder technologische Fortschritte während der Vertragslaufzeit nicht widerspiegeln. MetDesk bezieht seine Dienste aus Beobachtungs- und Prognosedaten, die von namhaften Herstellern wie dem Met Office und dem ECMWF erworben wurden. Ihre Prognosen basieren auf deterministischen globalen Vorhersagen des EZMW mit einer Auflösung von 12 Kilometern und es mangelt ihnen an einer direkten Integration probabilistischer Details in Wetterwarnungen. MetDesk generiert außerdem einen Niederschlags-Nowcast unter Verwendung von Radardaten des Met Office, die verfeinert und interpoliert wurden. Sie integrieren verschiedene Datenquellen wie Satelliten und Flusspegelmesser, um Network Rail maßgeschneiderte Wetterprodukte anzubieten. Das aktuelle Wettervorhersagemanagement umfasst Extreme Weather Action Teleconferences (EWATs), um Wetterwarnungen und -entscheidungen über einen komplexen Entscheidungsbaum zu kommunizieren und so die Sicherheit zu gewährleisten.

Neben der Wettervorhersage überwachen Bahnmanager zunehmend auch den Zustand der Gleise. Laut einem Sprecher von SNCF Réseau unterliegt das Schienennetz in Frankreich sowohl im Sommer als auch im Winter einer kontinuierlichen strengen Überwachung und regelmäßigen Wartung. „Es werden spezielle Wartungsteams eingesetzt, um die Infrastruktur zu überwachen und Probleme zu antizipieren. „Im Falle einer Störung der Anlagen sind die Mitarbeiter bereit, einzugreifen und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen“, heißt es. Ebenso wie die Infrastrukturkomponenten wird auch das Gleisbett regelmäßig überprüft. Der durch die Schienenausdehnung auf die Kunstbauten ausgeübte Druck und die Bewegungen, die durch das Schrumpfen der Böschungen bei längerer Trockenheit entstehen, werden von Sensoren bis ins kleinste Detail überwacht und können etwaige Störungen anzeigen.

Die Deutsche Bahn hat in besonders betriebsrelevanten Stellwerken Temperatursensoren installiert, die bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte automatisch Meldungen auslösen, und testet derzeit weitere Temperatursensoren an Schienen und in Bahnübergangsstellwerken, mit Fernüberwachung über die zentrale Diagnoseplattform DIANA . Laut DB steht „DIANA für ‚Diagnosis and Analysis‘ und stellt eine webbasierte Plattform dar, auf der alle Diagnosedaten integriert, verknüpft, ausgewertet und visualisiert werden können.“ Sie ist für die vorausschauende Wartung in Deutschland von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus werden auch technische und sensibilisierende Maßnahmen eingesetzt, um Gleisanlagen im Falle von Hitzewellen noch robuster zu machen, etwa durch Bodenuntersuchungen oder spezielle Inspektionen sensibler Infrastrukturkomponenten.

Im Vereinigten Königreich überwacht Network Rail die Ausrüstung an wichtigen Standorten aus der Ferne und empfängt ein Signal, wenn die Infrastruktur zu überhitzen beginnt. „Dadurch können wir Teams zu präzisen Standorten schicken, um Infrastrukturausfälle vorherzusagen und zu verhindern, und so die Zeit begrenzen, die sie auf der Strecke verbringen müssen“, sagt ein Sprecher. Network Rail hat auch damit begonnen, Drohnen mit Wärmebildkameras einzusetzen, um zu zeigen, wann die Infrastruktur überhitzt. Dies trägt dazu bei, die Arbeitszeit der Mitarbeiter zu verkürzen, sodass sie potenzielle Probleme erkennen und beheben können, bevor sie zu Verzögerungen führen. Der Einsatz von Überwachungsgeräten am Streckenrand an Böschungen und Einschnitten trägt auch dazu bei, Ausfälle vorherzusagen und zu verhindern.

Um extremen Temperaturen entgegenzuwirken und die Effizienz der Bahn aufrechtzuerhalten, werden innovative Strategien eingesetzt. Eine wirksame Methode besteht darin, Schienen weiß zu streichen, eine Praxis, die von Network Rail und Adif übernommen wurde. Durch die Beschichtung der Schienen mit weißer Farbe kann die von den Schienen aufgenommene Temperatur laut Network Rail um 5 bis 10 Grad Celsius gesenkt werden. Allerdings ist laut SBB „die Weisslackierung der Schienen teuer und bringt einige Nachteile mit sich.“ Für Streckeninspektoren ist es beispielsweise deutlich schwieriger, etwaige Risse in der Schiene zu erkennen. Darüber hinaus lässt einer der Vorteile mit zunehmender Verschmutzung des Lacks nach. Untersuchungen der SBB, DB und ÖBB zeigen, dass sich die Temperatur der Schienen durch einen hellen Anstrich um etwa 5 Grad verringert. Die Branche ist sich einig, dass dies nicht signifikant genug ist, um als wirksame Präventionsmaßnahme angesehen zu werden.“

Die SNCF hat ihre Gleisbau- und Instandhaltungspraktiken mit größeren Sicherheitsmargen angepasst. Der Modernisierungsprozess umfasst die Implementierung von Designregeln, die die Widerstandsfähigkeit der Gleise stärken. Mittlerweile kommen lange geschweißte Schienen zum Einsatz, die temperaturbedingte Spannungen effektiv absorbieren. Ebenso setzt die DB auf ein strategisches Temperaturmanagement, indem sie Gleise bei 23 Grad Celsius schweißt. Durch diesen Ansatz kann die Schiene Temperaturschwankungen von minus 20 Grad bis plus 60 Grad absorbieren. Die SBB stellt fest, dass moderne Schienenschweißtechniken die Zahl der verzogenen Gleise stark reduziert haben: „Auf dem gesamten SBB-Netz werden pro Jahr durchschnittlich nur drei bis sieben Gleisfehler erfasst und korrigiert.“

Darüber hinaus erhalten Strecken ohne lange geschweißte Schienen besondere Aufmerksamkeit bei der Wartung. Wenn die Temperaturstandards überschritten werden, kann SNCF Réseau außerdem die Zuggeschwindigkeit reduzieren oder sogar den Verkehr einstellen. „Das Risiko einer Gleisverformung kann durch die Verwendung von Beton statt Holzschwellen verringert werden. Davon setzt die SBB bereits verstärkt ein. Diese Betonschwellen können Querkräfte besser aufnehmen: Sie nehmen den Druck besser auf, der dadurch entsteht, dass sich das Metall der Schienen bei Hitzeeinwirkung ausdehnt. Auch die Kühlung mit Wasser aus Tankwagen ist eine effiziente Massnahme zur Vermeidung von Schienenverformungen und wird an besonders exponierten Stellen, bei alten Gleisen oder nach Wartungsarbeiten eingesetzt“, teilte ein SBB-Sprecher mit.

Adif ergreift im Sommer proaktive Maßnahmen, um Bereiche zu identifizieren, in denen es an ausreichend Ballast mangelt, was zu seitlichen Knicken führen kann. Um solchen Problemen vorzubeugen, wurden in Abschnitten des metrischen Spurweitenetzes innovative Knickschutzschwellen eingeführt. SNCF Réseau gewährleistet die Vegetationskontrolle das ganze Jahr über und verringert so das Risiko von Bränden oder Bäumen, die die Gleise behindern. Bei Vegetationsbränden in Gleisnähe kann sich SNCF Réseau dafür entscheiden, die Zuggeschwindigkeit zu reduzieren oder sogar den Verkehr vorübergehend einzustellen.

An verschiedenen Standorten werden Freileitungen „wetterfest“ gemacht, um ein Durchhängen zu verhindern. Network Rail hat dies beispielsweise kürzlich auf der Hauptstrecke der Westküste implementiert und so die Gesamtzuverlässigkeit des Schienennetzes verbessert.

Um hitzebedingte Ausfälle der Leit- und Sicherheitstechnik zu verhindern, hat die Deutsche Bahn Tausende Anlagen mit Klimaanlagen ausgestattet. Diese werden regelmäßig gewartet, überprüft und modernisiert. Darüber hinaus hat die Bahngesellschaft in besonders betriebsrelevanten Stellwerken Temperatursensoren installiert, die bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte automatisch Meldungen auslösen. Auf diese Weise können Klimaanlagen frühzeitig überprüft werden, bevor es zu einer Störung kommen kann. Auch die SBB verfügen in ihren Stellwerken über Klimaanlagen, um hitzebedingten Anlagenausfällen vorzubeugen.

Für ihren Zugbetrieb investiert die DB sowohl im Fern- als auch im Regionalverkehr in neue Fahrzeuge. Bis 2030 werden sie rund 12 Milliarden Euro allein in neue Fernverkehrszüge investieren. Diese neuen Fahrzeuge sind mit leistungsstärkeren Klimaanlagen ausgestattet, die Temperaturen von bis zu 45 Grad Celsius standhalten. Im kommenden Sommer wird die Zahl der ICE- und Intercity-Züge im Vergleich zu 2022 um 20 Prozent auf mehr als 215 Fahrzeuge steigen, alle ausgestattet mit modernster robuster Klimatechnik. Durchschnittlich kommen in diesem Jahr jeden Monat drei neue ICEs hinzu. Die neuen Klimaanlagen steigern nicht nur die Effizienz, sondern sorgen auch für eine hohe Zuverlässigkeit mit einer Verfügbarkeit von 99 Prozent.

Sowohl Fern- als auch Regionalklimaanlagen werden alle sechs Monate einer gründlichen Überprüfung unterzogen. Bei Bedarf werden intensive Wartungen und technische Überholungen durchgeführt, darunter Reinigung, Austausch von Filtermatten sowie Auffrischung von Kältemitteln und Komponenten. Diese Instandhaltungsaufwendungen erfordern für beide Transportarten jährliche Ausgaben in zweistelliger Millionenhöhe. Zugbegleiter beherrschen den Umgang mit Klimaanlagen und werden regelmäßig geschult. Bei Pannen befördert das Bordpersonal die Passagiere umgehend in andere Waggons. Fernzüge verfügen über einen ausreichenden Wasservorrat von insgesamt 65.000 Litern in der gesamten Flotte, zusätzliche Reserven gibt es an den großen Bahnhöfen. Auch die SNCF bereitet ihre künftigen TGVs auf die Hitzewellen der Zukunft vor. Aktuelle Züge sind für maximale Temperaturen von 40°C ausgelegt. Der im Jahr 2024 geplante TGV M soll sich an den erwarteten Temperaturanstieg der kommenden Jahrzehnte anpassen.

Weiterführende Literatur:

Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Extreme Wetterphänomene wie Hitzewellen und Überschwemmungen treten immer häufiger auf. Dies zwingt Infrastrukturbetreiber, sich an diese neue Realität anzupassen. Welche Taktiken werden eingesetzt, um die Auswirkungen der extremen Hitze auf die Eisenbahnen in Europa abzumildern? SNCF, Adif, Network Rail, SBB und DB teilen ihre Methoden mit RailTech.Weiterführende Literatur:
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